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Engagement hier, Engagement da, Engagement tralala

Also nicht on-gasch-mont, sondern en-gätsch-ment.
Engagement hier, Engagement da, Engagement tralala
Wari-Textil: aus kleinsten, scheinbar unzusammenhängenden Fragmenten entsteht durch Geduld, Aufmerksamkeit und Hingabe ein Ganzes – nicht durch Zuschneiden, sondern durch bewusstes, kompliziertes Ineinanderweben. So wie die Wari mit der Technik der discontinuous warp and weft Muster schufen, die nicht aus einem Guss, sondern aus zahllosen eigenständigen Partien bestehen, so entsteht auch in Communities kein Ergebnis „auf Knopfdruck“. Der Prozess ist nicht effizient, aber tief. Nicht standardisiert, sondern individuell. Quelle: https://publicdomainreview.org/collection/wari-tie-dye/

Oder: Warum wir in der Arbeit mit Communities nicht vom Ergebnis her denken sollten.

Während der Pandemie 2021 waren Julius und ich beim Digital Social Summit eingeladen, um über unsere Erfahrungen mit der Social Innovation Community im DRK zu berichten. Der digitale Raum füllte sich rasend, schnell waren um die 50 Personen anwesend, die alle an unseren Erkenntnissen interessiert waren. Communities schienen der neue heiße Scheiß zu sein. 

Wir erzählten also gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern von unseren Herausforderungen und Errungenschaften. Danach folgte eine Fragerunde. Die häufigste Frage, die uns gestellt wurde: Wie verdammt nochmal kriege ich die Interaktion hoch? Wie klappt das mit dem Engagement (englisch ausgesprochen)?

Die Frage ist berechtigt, denn niemand will eine leblose Community durch die Jahre schleppen. Dennoch sollten wir aufpassen, wonach wir fragen: Engagement ist nämlich ein konkretes Resultat, das wir uns aus der Community-Arbeit erhoffen – wir sollten dabei aber nicht das größere Ziel aus den Augen verlieren.

Community lebt von der Qualität ihrer Beziehungen

Julius hat’s in seinem letzten Artikel schon angerissen: Als Community Builder*innen in Organisationen und Unternehmen bewegen wir uns oft in folgendem Spannungsfeld: Auf der einen Seite sollen und wollen wir Ergebnisse liefern – auf der anderen Seite gibt es aber häufig (zunächst) keine vorzuweisen. Vielleicht gibt’s ein paar Mitgliederzahlen, die wir heranziehen können, Interaktionsraten, Zuwachs usw. 

Aber: Eine Community ist weit mehr als eine Ansammlung von Zahlen. Sie lebt von Beziehungen, von Vertrauensvorschuss, von geteilten Werten und Praktiken – alles fluffy stuff, der sich aber schlecht in messbaren Kennzahlen ausdrücken lässt. Und das ist auch gut so!

Community-Arbeit ist ein Paradigmenwechsel

Denn mit Communities wollen wir etwas verändern – und das tun wir am wirksamten und tiefgreifendsten, wenn wir die Paradigmen und Normen hinterfragen, die uns die (Arbeits-)Welt vor die Füße knallt (frei nach Donella Meadows’ Hebelpunkten für Veränderung):

Statt: „Wie viele Mitglieder habt ihr im letzten Monat dazugewonnen?” 

…fragen wir: „Welche Qualität haben die Beziehungen in unserer Community und wie stärken wir die entstehenden Bande?”

Statt: „Wie sieht das Engagement aus? Wie viele Inhalte werden regelmäßig gepostet?”

…fragen wir: „Was können wir tun, damit der Austausch floriert? Welche Bedingungen können wir kreieren, damit die Mitglieder mit Neugier und Schaffenslust hier sind?” 

Regenerative Prinzipien zum Vorbild nehmen

Darin findet sich auch ein einfacher regenerativer Ansatz wieder: Gute Bedingungen schaffen, damit der Garten florieren kann – und sich dann zurückziehen und geschehen lassen.

Einfach mal machen lassen. 

Manchmal ringt uns das sehr viel Stärke ab.

Hier noch ein Format, da noch ein neuer Kanal. Hier noch eine E-Mail, da noch eine aufsehenerregende Kampagne. Wir versuchen mit immer neuen Mitteln ein Ergebnis herzustellen, das letztlich nicht „herzustellen” ist: Communities sind extrem komplexe Gebilde, bestehend aus Menschen, die in sich schon äußerst komplex sind. Das Verhalten von Menschen lässt sich nicht kontrollieren. Und ebensowenig die Ergebnisse der Community-Arbeit. 

Als Community Builder*innen brauchen wir deshalb vor allem eines: Geduld.

Und ein Händchen dafür, uns und der Community den Freiraum zu schaffen, der zum Atmen nötig ist – zur Not mit klarer Haltung gegenüber unseren eigenen Vorgesetzten – im Zweifel aber vor allem uns selbst gegenüber.

Den Garten vorbereiten und pflegen

Doch wie können wir nun den Fokus wegnehmen von dem gewünschten Ergebnis und hinlenken zu dem größeren Ziel, das wir mit unserer Community-Arbeit verfolgen? Wie können wir gute Bedingungen schaffen, damit Lebendigkeit statt tote Hose herrscht? Wie können wir den sozialen Nährboden bereiten, aus dem neue Ideen und Praktiken sprießen?

Mit dem 3C-Framework aus dem EU Communities of Practice Playbook haben wir euch letzte Woche eine Herangehensweise vorgestellt, mit der ihr bewusst und ohne viele Umwege ins Tun kommt. Die 3C repräsentieren wichtige Faktoren für Zusammenkünfte: Die Verbindungen zwischen den Mitgliedern, die Art und Weise der Kommunikation und die tiefen Gespräche, die in der Community geführt werden sollten, damit Veränderung entsteht.

Connection – Communication – Conversation

CONNECTION – Wie sind Menschen verbunden?

Connection beschreibt die Beziehungen und Bindungen zwischen Mitgliedern. Wer kennt wen? Wer fühlt sich zugehörig?

Beispiele:

  1. Onboarding-Rituale
  2. Buddy-Programme
  3. Verzeichnis mit Interessen & Rollen
  4. Community-Karten (Netzwerk-Visualisierungen)

Reflexionsfragen:

  1. Wer ist in eurer Community miteinander verbunden – und wer (noch) nicht?
  2. Wie leicht ist es, Anschluss zu finden?
  3. Wie sichtbar sind stille Mitglieder?

Entwicklungspotenziale:

  1. Brücken zwischen Gruppen bauen
  2. Neue Verbindungen gezielt ermöglichen
  3. Unsichtbare Beziehungen sichtbar machen

COMMUNICATION – Wie wird kommuniziert?

Communication beschreibt die Kanäle, Tools und Tonalität des Austauschs – synchron und asynchron, digital und analog.

Beispiele:

  1. Gemeinsamer Slack / MS Teams Kanal
  2. Newsletter oder Updates
  3. Community-Guidelines für Kommunikation
  4. Transparente Entscheidungswege

Reflexionsfragen:

  1. Wie wird bei euch kommuniziert – regelmäßig, klar, zugänglich?
  2. Welche Tools funktionieren, welche überfordern?
  3. Gibt es stille Absprachen oder offene Kommunikation?

Entwicklungspotenziale:

  1. Kommunikationsstrukturen entwirren
  2. Feedback-Kultur etablieren
  3. Kommunikative Leuchttürme schaffen

CONVERSATION – Was wird besprochen (und was nicht)?

Conversation zielt auf die Tiefe der Gespräche: Geht es um Austausch, Zuhören, gemeinsame Reflexion – oder nur um Updates?

Beispiele:

  1. Storytelling-Formate
  2. Community-Retrospektiven
  3. Peer-Coachings oder Case Clinics
  4. Formate für schwierige Gespräche

Reflexionsfragen:

  1. Gibt es Raum für echte Gespräche und kritische Themen?
  2. Wie geht ihr mit Konflikten oder Unsicherheiten um?
  3. Was wird (noch) nicht besprochen?

Entwicklungspotenziale:

  1. Gesprächsräume bewusst schaffen
  2. Zuhören und Perspektivwechsel fördern
  3. Mutige Gespräche ermöglichen

Los geht’s!

Mit den drei Faktoren Connection, Communication und Conversation legst du ein festes Fundament für eine lebendige Community. Du kannst sie immer wieder als Ansätze für dein Community Building heranziehen.

Ich will dich an genau dieser Stelle dazu einladen, ins Machen zu kommen! Welcher Baustein macht dich besonders neugierig? Welche Sache kannst du bei dir umsetzen? Pick dir doch mal eine einzelne raus, mit der du anfängst. Und dann lass uns super gerne wissen, wie es läuft!


Zum Reflektieren & Weiterdenken 

👉 Welche eine Sache nehme ich mit? Wie kann ich eine kleine Intervention aus den 3C basteln und sie in meiner Community ausprobieren?

👉 An welchen Stellen kann ich die Paradigmen hinterfragen, die ich meiner Arbeit in/mit Communities zu Grunde lege?

👉 Wie kann ich meiner Community mehr Freiraum verschaffen?


Herzlichst

Jenny

— Jenny Geiser